Donnerstag, 11. Juli 2013

movielove | Jeux d'enfants

Es gibt da dieses kleine rosa Büchlein in meinem Regal. Absolut unscheinbar, ein Notizbuch wie jedes andere. Aber der Inhalt ist für mich etwas Wichtiges, etwas was mich ausmacht: Filme. Ich bin ohne Fernseher aufgewachsen und habe bis dato noch nie in einer Wohnung gelebt, in der einer vorhanden war. Dadurch ist meine Liebe zu Büchern entstanden, aber vor allem ist das Sehen von Filmen etwas Besonderes, Bedachtes geworden. 
Es gibt einfach nichts schöneres, als einen für mich perfekten Film zu sehen. Wenn die Story einen in seinen Bann zieht, der Soundtrack verzaubert und am Ende eine Sprachlosigkeit zurückbleibt oder einfach dieses bestimmte Gefühl, dass man irgendwie mehr ist, ein Stück vollständiger, weil man eben diesen Film gesehen hat. Natürlich geht es mir nicht bei jedem so, ich greife auch mal ins Klo, oder schaue einfach zur Unterhaltung eine nette Hollywood-Komödie. Aber genau dafür ist dieses kleine rosa Buch da. In diesem halten mein M. und ich ein Punkte-Ranking fest von den Filmen, die wir gemeinsam gesehen haben.
Ab jetzt möchte ich in regelmäßigen Abständen meine 8er, 9er und 10er mit euch teilen. Die Top-Filme quasi.

Ein wirklich ganz besonderer Film für mich ist Jeux d'enfants (Klick zum deutschen Trailer). In der deutschen Übersetzung heißt er Liebe mich, wenn du dich traust, aber wenn man den Film gesehen hat, passt der französische Originaltitel einfach viel viel besser. Jeux d'enfants bedeutet übersetzt so viel wie Das Spiel der Kinder und eben mit so einem Spiel beginnt und endet das Regie-Debüt von Yann Samuell. 



Zwischen Julien (Guillaume Canet) und Sophie (Marion Cotillard) entsteht in Kinderjahren ein Spiel oder auch ein Abkommen, dass nur mit dieser einen bunten Spieldose funktioniert. Wer die Dose hat, darf vom anderen mit dem Satz Top oder Flop?! alles verlangen. Und so wandert sie jahrelang zwischen den beiden hin und her. Aber auch als Erwachsene schaffen sie es nicht das Spiel Spiel sein zu lassen. Die Aufgaben werden immer mutiger, intensiver aber gleichzeitig auch brutaler, auf emotionale, wie auch auf körperliche Weise. Julien und Sophie können sich nicht eingestehen, dass sie mehr füreinander empfinden als Freundschaft und so benutzen sie die Dose um den anderen herauszufordern und auch zu verletzen. Das Spiel wird bitterer Ernst, vor allem weil selbst die Protagonisten nicht mehr wissen, was Wirklichkeit ist und was nicht.

Ich habe Jeux d'enfants bestimmt schon an die sechs Mal gesehen und jedes Mal packt er mich, brennt sich in mein Herz. Obwohl er als Liebesfilm betitelt ist, ist für mich so viel mehr dahinter. Freundschaft, Verlangen, Schmerz, die Frage wie weit man für einen Menschen gehen würde. All das, gepaart mit bittersüßen Gefühlen und einer ordentlichen Portion emotionaler Grausamkeit, ergibt diese ganz besondere tiefgründige Spannung, die der Film mit sich bringt. Liebe lässt sich eben frei interpretieren, es kommt darauf an was man damit macht und wie man damit umgeht. Die Geschichte ist frei von jeglichen Klischees, die man normalerweise aus Liebesfilmen kennt. Als Zuschauer wird man ständig hin und hergerissen zwischen Realität und Fiktion, Witz und Bosheit.  
Warum einen die Story so packt? Vielleicht weil jeder von uns schon Spielchen gespielt hat, um sich nicht zu tief hinter die Fassade schauen zu lassen, aus Angst verletzt zu werden oder weil man sich in die Hauptdarsteller so gut hineinversetzen kann, bei ihrem Scheitern ihr Leben so zu leben, wie sie es sich erträumt haben.
Und die geniale Kameraführung tut den Rest, lässt einen gespannt die Luft anhalten, wenn alles in Zeitlupe abgespielt wird und das Herz rasen, wenn die Geschwindigkeit ungewöhnlich schnell abläuft.

Gespickt mit absolut wunderbaren wie auch witzigen Zitaten schafft es Yann Samuell mir, selbst jetzt Jahre nach dem ich den Film das erste Mal und Monate nach dem ich ihn das letzte Mal gesehen habe, einen Schauer über den Rücken laufen zu lassen.

"Das war besser als alles, besser als Drogen, besser als Heroin, Dope, Kokain, Crack, Fixen, Joints, Shit, Schuss, Sniffen, Hasch, Ganja, Marijuana, Kannabis, Gras, Peyote, Löschblatt, Acid, LSD, Ecstasy. Besser als Sex, Fellatio, 69, Swinger Parties, Masturbation, Tantra, Kamasutra, Thai-Massage. Besser als Nutella auf Kakaobutter und Bananenmilchshake, besser als alle Trilogien von George Lucas, die Muppet Show, das Ende von 2001. Besser als der Hüftschwung von Emma Peel, Marilyn, Schlumpfinchen, Lara Croft, Naomi Campbell und der Leberfleck von Cindy Crawford. Besser als die B-Seite von Abbey Road, die Solos von Jimi Hendrix, Neil Armstrongs Schritte auf dem Mond, der Space Mountain, das Lied vom Weihnachtsmann, das Vermögen von Bill Gates, die Trance des Dalai Lama, Nahtodeserfahrungen, Auferweckung des Lazarus, all die Testosteron-Spritzen von Schwarzenegger, das Kollagen in den Lippen von Pamela Anderson. Besser als Woodstock und die orgiastischste Raver-Party. Besser als der Trip von de Sade, Rimbaud und Castaneda. Besser als die Freiheit, besser als das Leben."

"Du hast gesagt, ich könnte dir niemals weh tun. Gewonnen."

"Mit Freunden ist es wie mit Brillen: Sie lassen einen intelligent aussehen, aber bekommen schnell Kratzer. Und dann nerven sie. Zum Glück stößt man hin und wieder auf echt coole Brillen."

"Sag mir, dass du mich liebst. Ich würd' mich nämlich nie trauen, es zuerst zu sagen, weil ich Angst hätte, dass du glaubst, es wäre ein Spiel."

Was Jeux d'enfants für mich auch unheimlich besonders macht ist das Ende. Im Grunde beschreiben allein die letzten drei Minuten perfekt diesen Zwiespalt, in dem sich die beiden Hauptdarsteller 90 Minuten lang befinden. Was ist Realität und was gehört zum Spiel? Wie kann eine solche Geschichte ausgehen, die gefüllt ist, mit so viel Angst, Verletzungen und diesem französischen Touch. Das kann man sich als Zuschauer quasi selbst aussuchen, weil der Film eben nicht so endet, wie man es aus gewöhnlichen Filmen kennt. 




Typisch französisch ist auch der absolut geniale Soundtrack, der im Grunde nur aus einem Lied besteht. Und was für eines: La Vie En Rose zieht sich in den unterschiedlichsten Versionen durch den Film, von dem brasilianischen Trio Esperança über eine poppige Version von Donna Summer bis hin zum absoluten Klassiker von Louis Armstrong.

Wer auf der Suche nach einem unkonventionellen Liebesfilm ist, der einen mit offenem Mund, rasendem Herzen und Gedanken jenseits von Kitsch zurücklässt, sollte sich Jeux d'enfants ansehen, die Musik genießen und staunen.

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